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Was bedeutet die Aufhebung des § 78, 2. Tatbestand Strafgesetzbuch (Hilfeleistung beim Suizid) durch den VfGH?

Die Entscheidung

Am 11.12.2020 hat der Österreichische VfGh verkündet, dass der § 78, 2. Tatbestand Strafgesetzbuch (Hilfeleistung beim Suizid) verfassungswidrig und daher aufzuheben ist. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. 12. 2021 in Kraft. Der Gesetzgeber hat bis Ende 2021 Zeit, die Suizidbeihilfe verfassungskonform zu regeln.

§ 78, 1. Tatbestand (Verleitung zum Selbstmord) und der § 77 (Tötung auf Verlangen) sieht der VfGh als verfassungskonform an. Diese Strafnormen können bestehen bleiben.

 

Die Entscheidungsgrundlagen
  • Es ist verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten.
  • Der Straftatbestand der „Hilfeleistung zum Selbstmord“ verstößt gegen Recht auf Selbstbestimmung.
  • Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst das Recht auf die Gestaltung des Lebens ebenso wie das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben. Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst auch das Recht des Suizidwilligen, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen.
  • Beruht die Entscheidung zur Selbsttötung auf der freien Selbstbestimmung des Betroffenen, so ist dies vom Gesetzgeber zu respektieren.
  • Der VfGH übersieht nicht, dass die freie Selbstbestimmung auch durch vielfältige soziale und ökonomische Umstände beeinflusst wird. Dementsprechend hat der Gesetzgeber zur Verhinderung von Missbrauch Maßnahmen vorzusehen, damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst.
  • Jemand anderen zur Selbsttötung zu verleiten, bleibt strafbar.

 

Justizia assistierter Suizid
Aktueller Status

Der Gesetzgeber hat bis zum 31. 12. 2021 Zeit, eine verfassungskonforme Regelung zur Suizidbeihilfe zu beschließen. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt kein Gesetz vorliegen, so würde ab 1. 1. 2022 der § 78 StGB wie folgt lauten:

„Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“

Sohin wäre jede Form der Suizidbeihilfe erlaubt und nicht mehr unter Strafe gestellt.

Es ist aber davon auszugehen, dass es bis Ende 2021 eine Regelung geben wird.

Offene Punkte für eine neue Regelung

Folgende Fragestellungen sind für eine neue gesetzliche Regelung von Bedeutung:

  • Wie kann Missbrauch verhindert werden? Welche begleitenden Maßnahmen zur Suizidprävention/zum Ausbau palliativer Strukturen benötigt es?
  • Wie können vulnerable Personengruppen geschützt werden?
  • Wer sind die befugten „Dritten“, die künftig unterstützen dürfen? An- und Zugehörige bzw. Vertrauenspersonen oder
  • auch andere Personen (z.B. auch Vereine)?
  • Sollen Ärzte bzw. auch Gesundheits- und Krankenpflegepersonen als befugte Personen einbezogen werden?
  • Haben diese Berufsgruppen bei Kenntnis von Suizidgedanken einer Person dann auch eine Beratung dahingehend anzubieten?
  • Bestehen Meldepflichten bei suizidaler Krise im Rahmen einer (akuten) psychischen Erkrankung (Unterbringung)?
  • Werden spezielle Erfordernisse zur Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit vorgegeben? Wer hat die Einschätzung zu treffen? Einfache oder doppelte Prüfung? Soll es erst ab der Volljährigkeit erlaubt sein oder auch für Minderjährige?
  • Soll die Möglichkeit der Suizidbeihilfe geknüpft werden an eine „unheilbare, zum Tod führende Krankheit mit begrenzter Lebenserwartung“?
  • Sollen nur Personen mit somatischer Erkrankung hierzu in Frage kommen oder auch Personen mit psychischer Erkrankung?
  • Soll es eine Mindestzeit zwischen Aufklärung und Inanspruchnahme der Suizidbeihilfe geben? Wenn ja, wie lange soll die Zeitspanne mindestens sein?
  • Welche Anforderungen bestehen an die Aufklärung? Ist verpflichtend ein Gespräch über Suizidprävention bzw. über die Inanspruchnahme palliativer Versorgungsangebote zu führen?
  • Welche Anforderungen werden an die Dokumentation gestellt?
  • Darf die Gutachtenerstellung entgeltlich erfolgen? Wer hat für die Kosten aufzukommen?
  • Ist eine Werbung für die Suizidbeihilfe zulässig oder verboten?
  • Wie kann sichergestellt werden, dass weder Personen, die eine Suizidbeihilfe leisten, noch Personen, die dies ablehnen, diskriminiert/benachteiligt werden?

2021 wird ein Jahr der intensiven Diskussionen.  Daher ist es aus Sicht des ÖGKV essenziell und dringend erforderlich, die Gruppe der Pflegepersonen aktiv in den Gesetzgebungsprozess einzubeziehen. Durch Schaffung von Strukturen, die eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit der medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Berufsgruppen fördern und ermöglichen, können Menschen, die sich für einen assistierten Suizid entscheiden oder diesen überlegen, professionell, menschlich und ergebnisoffen begleitet werden.

 

Wie sieht es in Ihrer Einrichtung mit assistiertem Suizid bzw. Palliativmaßnahmen aus? Mit welchen künftigen Maßnahmen rechnen Sie?

 

Quellen:

Dr. Michael Halmich, LL.M. (Jurist und Ethikberater im Gesundheitswesen)

Österreichischer Gesundheits- und Krankenpflegeverband

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